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Die Hütte im Bergsteiger Magazin

Artikel von Paul Mayer und Thilo Mössner im Bergsteiger Magazin Mai 2017

Am Warmwasser scheiden sich bekanntlich die Geister. Natürlich kommt man gut ein paar Tage ohne aus, aber warum selbst in Hütten mit der Anmutung einer Autobahnraststätte nur eiskaltes Wasser aus der Leitung läuft, lässt sich einer Solarzelle wohl kaum vermitteln. Und wie lange hält die Münze durch, falls es doch einen Duschautomaten gibt? Egal. Das Rifugio San Marco hat einen sensationellen ‚Wellnessbereich’ zu bieten: eine Warmwasserdusche unter freien Himmel. Mit dem schroffen Massiv der Marmarole im Genick und den zerzausten Spitzen der Cinque Torri im Blick, kann man genüsslich den Staub und Schweiß von den geschundenen Knochen spülen.

Das mag auf eine falsche Fährte führen, denn die kleine Schutzhütte aus Naturstein besticht vor allem durch ihre Ursprünglichkeit – und die Herzlichkeit der Wirtsfamilie. Während die Enkel Emma und Marino Lolek mit dem zotteligen Hund Bongo auf der Wiese herumtollen, pflückt Oma Iva in dem kleinen Gemüsegarten Salat fürs Abendessen. Opa Marino Ossi schmeißt die Bar und späht mit dem Fernglas auf die Forcella, ob alle Bergsteiger auch wieder heil zurückkehren. Dann kommt Tanja mit ihrem Block auf die Terrasse und trägt jedem Gast persönlich vor, was die Küche Köstliches zu bieten hat: erster Gang, zweiter Gang – dolce vita.

Ein richtiger Familienbetrieb, jeder macht mit, jeder mischt mit, und hinter den Kulissen wird auch mal gezankt: ‚Wir sind doch kein Autogrill’ schimpft Tanja, wenn im August die Sommerfrischler Latte Macchiato bestellen. Der Opa geht die Sache etwas entspannter an: Kaffee ist Kaffee, und wenn’s ihm zu bunt wird, heißt es einfach: bar chiuso. Dann muss Tanja einspringen: bedienen, putzen, waschen, und der Oma in der Küche helfen: Vollgas von früh bis spät, da macht sie mehr Strecke als ein Tourengänger.

Seit 17 Jahren bewirtet die Familie Ossi das Rifugio, das auf einem Felsvorsprung am Fuße der Cima Bel Pra wie ein Adlerhorst über den Cadore-Tal thront. San Marco ist die älteste Schutzhütte in den Dolomiten, im Jahre 1895 vom Venezianischen Alpenverein errichtet, und trotz kleiner Umbauten und all den Brandschutzauflagen hat sie ihren ursprünglichen Charme bewahrt. Behutsam hält Marino Ossi mit seinen Tischlerarbeiten die Hütte im Stand. Alles ist stimmig, bis ins kleinste Detail – oben im Waschraum plätschert nur kaltes Wasser aus dem Hahn.

Das Rifugio San Marco ist wirklich ein Zufluchtsort, und ein grandioser Logenplatz. Hauptdarsteller in dem steinernen Spektakel ist der König der Dolomiten, der Antelao. Mit seinen steil aufragenden Felsplatten scheint er den Himmel kitzeln zu wollen, während um seine Krone kleine weiße Wölkchen tänzeln. Ein imposanter Riese direkt vor der Haustür, zum Greifen nah, und doch in weiter Ferne. Seit einem gewaltigen Bergsturz auf dem Plattenschuss der Laste im Herbst 2014 wird aus Gefahr vor weiteren Abgängen von dem Aufstieg auf dem Normalweg abgeraten. Und auch die anderen Gipfel rund um San Marco haben es in sich: die Sorapiss-Umrundung, oder die Durchquerung der Marmarole entlang der Dolomitenhöhenwege: ‚Luftige Kletterei’ würde Hauleitner sagen.Für Bergsteiger, die auf allzu ausgesetzte Turneinlagen verzichten möchten, hat Edi, der Mann von Tanja und ausgebildeter Bergführer, eine montane Umrundung der Marmarole ausgetüfftelt. In vier bis fünf Tagen geht es durch das wildromantische Hochtal von St. Vito,abseits der ausgetretenen Steige rund um den Falzarego-Pass, in einen nahezu vergessenen Teil der Dolomiten, eine stille fast verwunschene Landschaft. Und auf der Südflanke des ‚marmonen’ Massivs scheinen sich die Hüttenwirte fast zu überschlagen, um kulinarisch mit der Familie Ossi mithalten zu können.

Eine  geschmeidige Tour zum Saisonauftakt oder auch für Familien. Und das besonders Schöne an der Runde ist, dass man zum Abschluss wieder auf San Marco landet. Wenn man oben auf der Forcella Piccola in der tief stehenden Abendsonne das rote Dach der Hütte glänzen sieht und die Fußsohlen bereits brennen, geht es nur mehr ‚hangparallel’. Bald hört man Bongo bellen, dann ist es geschafft. Erstmal die Stiefel runter und einen Aperitif in dem kleinen Pavillon auf dem Felsvorsprung schlürfen – mit Blick auf seine Majestät. Und dann kommt auch schon Tanja rüber und fragt: primo, secondo? – Duschen nicht vergessen!

Text Paul Mayer, Frankfurt a. M.

Fotos Thilo Mössner, Berlin